Freundschaftsverein Tczew-Witten e.V.


Einweihung

»Dirschauer Straße« – »ulica Tczewska«

Sonntag, den 4. September 2022

um 11.30 Uhr in der Dirschauer Straße

Am 18.11.2019 stimmte der Haupt- und Finanzausschuß des Rates der Stadt Witten dem Bürgerantrag zu. Die Umsetzung wurde durch die Covid-19 Pandemie verzögert. Nun sollen die zusätzlichen Straßenschilder unter der Beteiligung von Gästen aus Tczew eingeweiht werden.
Seit 1990 besteht der Freundschaftsvertrag zwischen den Städten Witten und Tczew, seit 1998 die Städtepartnerschaft. Bis heute zeigt sich diese Verbindung zwischen den Bürgern der beiden Städte als ein aktiv gelebtes kleines Stück Europa. 



Eine Anregung gemäß § 24 Gemeindeordnung NRW (Bürgerantrag vom 27.08.2019)

„Die Stadt Witten möge aus Anlaß des 30. Jubiläums des Vertrags über die Städtefreundschaft
mit Tczew im Jahr 2020 die Straßenschilder „Dirschauer Straße“ mit
zusätzlichen Schildern in der polnischen Version „ul. Tczewska“ versehen.“



Ein Zeichen setzen! – Für ein partnerschaftliches Miteinander in Europa



Sonntag, den 4. September 2022 um 11.30 Uhr in der Dirschauer Straße

Rede zur Einweihung der zusätzlichen Straßenschilder


Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Anwohnerinnen und Anwohner der Dirschauer Straße!
Sie haben es mit Ihrer Beteiligung an dem Bürgerantrag vom August 2019 möglich gemacht, daß wir heute hier stehen.

Sehr geehrter Herr Stadtpräsident Mirosaw Pobocki!
Sehr geehrte Gäste aus der Partnerstadt Tczew!

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Lars König!
Sehr geehrte Mitglieder des Rates der Stadt Witten!

Liebe Gäste aus den Partnerstädten!

Ein polnisches Straßenschild in einer deutschen Stadt.
Dies ist durchaus ungewöhnlich und wir sollten darüber sprechen, warum wir froh sind, daß hier nun zwei Schilder und eine Erläuterung zu sehen sind.

Wissen die Menschen in Witten, was Dirschau ist? Nein, selbst hier in der Straße wußten nicht alle Anwohner, was es mit dem Wort auf sich hat. Es ist der deutsche Name einer polnischen Stadt. Es ist der Name der polnischen Stadt, mit der die Stadt Witten und ihre Bürger seit 32 Jahren freundschaftlich verbunden sind.

Seit dem Jahr 1990 gibt es die konkrete Hoffnung auf ein gemeinsames und geeintes Europa. Ein gemeinsames Haus Europa. Auf ein Europa ohne Krieg. – Wir sehen, wir sind noch sehr weit entfernt von der positiven Vision von Europa.

Aber das historische Tczew, das mit deutschem Namen seit der Gründung im Jahre 1260 immer auch schon Dirschau hieß, war ein Beispiel dafür, was in Europa möglich war. Ein polnischer Fürst gründete eine Stadt, in der es von Anfang an auch deutsche Bürger gab. Und Menschen, die sich als Deutsche verstanden, weil sie Deutsch sprachen, nicht weil sie einen deutschen Paß hatten, lebten Jahrhunderte lang unter polnischer Herrschaft.

Zu dieser Geschichte des Zusammenlebens von Polen und Deutschen gehört aber auch die Geschichte deutschen Strebens nach Macht und Einfluß auf Kosten anderer. Hier ist auch auf die Rolle des Deutschen Ritterordens, des Deutschen Ordens oder des Deutschherrenordens hinzuweisen, die bis heute in Deutschland erstaunlich unkritisch wahrgenommen wird.

Die Stadt Dirschau wurde 1308 vom Deutschen Orden blutig und mit großen Zerstörungen der Stadt erobert. – Die Bürger wollten den Orden nicht und unterlagen.

Der polnische Autor Czesaw Miosz verweist auf die dem Deutschen Orden fälschlicherweise zugeschriebene Rolle der Christianisierung des angeblich finsteren, heidnischen Ostens. Hier finden wir eine bis in heutige Zeit gepflegte Überheblichkeit gegenüber den slawischen Nachbarn, die sogar Eingang in einen christlichen Katechismus fand.

Der polnische Autor Czesaw Miosz schreibt:
„Dieses Bild einer Finsternis jenseits der Grenzen, in die hinein glühend begeisterte Missionare zogen, ist in der Vorstellung deutscher Theologen so fest verwurzelt, daß sie keine Be-den-ken trugen, es in die Lehre von den Glaubenswahrheiten auf-zunehmen. Mir bot es sich schon in der Kindheit von einer anderen Seite. Die Geschichte der christlichen Sendung war wesentlich eine Geschichte des Mordes, der Gewalt und des Banditentums, und das schwarze Kreuz ist für lange Zeit das Symbol einer Heimsuchung, schlimmer als die Pest, geblieben.“

Wir können diese zwei Straßenschilder also als eine Chance begreifen, darüber nachzudenken, daß die Geschichte Europas nicht für schlichte Heldensagen taugt. Sie ist kompliziert und sie ist blutig. Aber der Gedanke der Freiheit ist in Europa gewachsen und hat sich gegen viele Widerstände durchzusetzen vermocht.

Wir sollten uns dieser Freiheit bewußt sein und sie schätzen und schützen.

Schauen wir uns hier vor Ort einmal um.

1967 wurde diese Straße in die Dirschauer Straße umbenannt. Dies weist auf die deutschen Flüchtlinge hin, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ihre Heimat im östlichen Mitteleuropa und im Kreis Tczew, auf deutsch Dirschau, verlassen haben.

Hier in dieser Straße wohnte 1933 ein Bernhard Wisniewski, geboren 1897 in Polen, das es damals aber als Staat nicht gab. Oder genauer, er war im Landkreis Graudenz / Grudzidz geboren worden, nicht allzu weit entfernt von Tczew. Er war ein aktiver Gegner der deutschen Nationalsozialisten. Er floh vor ihnen nach Polen, überlebte den Krieg und lebte dann nach 1945 in der heutigen Breslauer Straße. Ein deutsches Schicksal? Ein polnisches Schicksal? Ein Hinweis darauf, daß der Kampf um die Freiheit Opfer kostet.

Gehen wir noch ein paar Häuser weiter bis in die Pferdebachstraße 98. Hier lebte nach 1945 der ehemalige Kommandant des Konzentrationslagers Stutthof, Paul Werner Hoppe, im Geheimen, wurde aber doch entdeckt und kam zehn Jahre nach dem Krieg in Bochum vor Gericht.

Wir wollen mit offenen Augen durch unsere Stadt gehen. Wir wollen sehen, verstehen und begreifen, was wir sehen.

Witten ist eine deutsche Stadt und hier spricht man Deutsch. Witten ist aber eine Stadt, die es ohne Migranten gar nicht gäbe.
– Hier gleicht sie der Partnerstadt Tczew. –
Es sind die Migranten aus deutschen Ländern und preußischen Provinzen mit polnisch sprechenden Menschen gewesen, die das Dorf Witten durch die Entwicklung der Industrie zur Stadt entwickelten. Auch von jenseits der Alpen kamen die Menschen, um hier mit ihren fachlichen Kenntnissen zu arbeiten und Großes zu schaffen, wie die Eisenbahnlinien.

Das ist Europa. Hier wollen wir in Frieden, Freiheit und in guter Nachbarschaft mit unseren Nachbarn zusammenleben. Unterschiedlich wie wir sind, aber gemeinsam.
Ein kleines Schild weist nun darauf hin, daß dies nicht immer leicht war, aber es ist möglich.

Sonntag, den 4. September 2022 um 11.30 Uhr in der Dirschauer Straße

Als die „Dirschauer Straße“ in Witten im Jahre 1967 benannt wurde, war man von einer Anerkennung des polnischen Staates in den Grenzen, wie sie  nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 gezogen wurde, noch weit entfernt. Dirschau ist der deutsche Name für die polnische Stadt Tczew, die im Jahr 1260 von einem polnischen Fürsten gegründet wurde. Tczew ist einer der Orte, an denen die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 den Krieg begannen.
Die polnische Stadt Tczew hieß während der Zeit der polnischen Teilungen nach 1772 und während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg ab 1939 Dirschau. In der Partnerstadt Tczew geht man offen mit dem deutschen Anteil an der Geschichte um. Es finden sich in der Altstadt viele dreisprachige Hinweisschilder auf die Geschichte der Stadt. Und seit 2015 steht ein Straßenschild aus Berlin in Tczew: „Dirschauer Straße“.

Die „Dirschauer Straße“ erinnert zu recht daran, daß im Zweiten Weltkrieg Deutsche ihre Heimat verloren haben. Als dieses Schild 1967 in Witten aufgestellt wurde, hoffte allerdings auch noch mancher in Deutschland, daß die neuen Nachkriegsgrenzen nicht endgültig seien, daß es nur „polnisch verwaltete Gebiete“ seien. – Sie sind polnisches Staatsgebiet!
Die Bundesrepublik Deutschland hat die Gültigkeit der Grenzen Polens mit dem »Vertrag vom 14. November 1990 über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze« völkerrechtlich bindend anerkannt.

Die historische Verbundenheit der Stadt Witten mit der polnischen Stadt Tczew reicht weiter zurück als die Städtepartnerschaft

Das kleine Dorf Witten entwickelte sich durch die Industrialisierung rasch: im Jahr 1772 – ca. 600 Einwohner; 1855 ca. 5.000; 1900 über 33.000 Einwohner. Die Stadt Tczew, in einem bis heute agrarisch geprägten Umland, hatte eine deutlich geringere Entwicklung der Industrie und der Einwohnerzahl: im Jahr 1772 – 1.400 Einwohner; 1855 – 5.860; 1900 – 12.800 Einwohner.
Wo kamen die neuen Einwohner Wittens her? Mit der ersten Teilung Polens im Jahr 1772 wurde die polnische Stadt Tczew Teil des preußischen Staatsgebietes. Die Einwohner Preußens suchten sich in den entstehenden Industrieregionen Arbeit. Auch aus Tczew, das dann Dirschau hieß, kamen Menschen zum Arbeiten nach Witten. Viele polnischsprachige Menschen kamen aus der Region Posen, andere aus Westpreußen, Ostpreußen (Masuren) oder Schlesien. Sie stellten bis zu sechs Prozent der Wittener Bevölkerung, in einem Ortsteil jedoch ein Viertel der Einwohner. In den Betrieben der Kohle- und Eisenindustrie lag der Anteil der polnischsprachigen Arbeiter zum Teil deutlich höher.
Ein erster polnischer Arbeiter aus Tczew, der 1890 in Witten Arbeit fand, findet sich heute noch in den Akten. Er war nicht der Einzige aus der Stadt an der Weichsel. Über die polnischsprachigen Zuwanderer in Witten findet sich jedoch nur wenig in den erhaltenen Dokumenten. Viele sind uns nur bekannt, weil sie aktiv waren im Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur, die Deutschland in den Zweiten Weltkrieg führte. In diesem verloren dann viele Deutsche ihre Heimat, woran die „Dirschauer Straße“ erinnert. An die polnischen Arbeiter in Witten und die Polen im Widerstand gegen Hitler erinnert bis heute nichts in Witten.
In einer Zeit, in der in Europa der Nationalismus wächst, weist die Stadt Witten nun mit einer kleinen symbolischen Aktion auf die geschichtliche Verbundenheit mit Tczew hin und bekennt sich zu der dreißig Jahre währenden Freundschaft beider Städte.


„Dirschauer Strasse“ direkt aus Berlin – schon in Tczew

Pressemeldung der Stadt Tczew vom 13.10.2015

Der Bürgermeister der Stadt Tczew, Mirosław Pobłocki, im Oktober 2015 mit dem Straßenschild „Dirschauer Straße“ aus Berlin.

Wir sammeln Straßenschilder mit dem Straßennamen „ulica Tczewska“ (Dirschauer Straße). Außer der Straßenschilder aus Polen erhielten wir nun das erste Schild aus dem Ausland – Dirschauer Straße aus Berlin.
Vor mehreren Monaten wandte sich der Bürgermeister der Stadt Tczew, Mirosław Pobłocki, an die Gemeinden, in denen es eine ulica Tczewska gibt, mit der Bitte ihm ein Straßenschild mit diesem Namen zu übergeben.
Bis jetzt erhielten wir Straßenschilder aus Olsztyn, Lichnów, Malbork, Warszawy, Nowy Dwór Gdański, Pruszcz Gdańsk, Starogard Gdańsk, Poznań, Częstochowa, Piła, Bydgoszcz, Kwidzyn, der Landgemeinde Tczew (in dieser Gemeinde gibt es eine Dirschauer Straße in Rokitki, Swaroschin und Czarlin).
Wir warten auf weitere.
Nachdem uns weitere Schilder erreichen werden, stellen wir sie exponiert auf der Grünanlage an der Żwirki Straße auf.


Ein Foto der Schildersammlung in Tczew des Internetportals Nasze Miasto



WAZ Witten vom 20.11.2019 Dirschauer Straße jetzt auch auf Polnisch





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