"... widerlich, mit diesen Polen
zusammenarbeiten zu müssen."

Anmerkungen zur kaum gelungenen Integration der polnischen
Minderheit in Witten bis zur Weimarer Republik

Frank Ahland


[...]

Noch deutlicher wurde ein anderes Magistratsmitglied am 13. August 1921 in einem an den Regierungspräsidenten gerichteten Brief, als es eine Beschwerde der ZZP abwies, wonach polnische Arbeiter des Gußstahlwerkes zum Eintritt in den freigewerkschaftlichen Deutschen Metallarbeiterverband gedrängt worden seien. "Bei dieser Gelegenheit",
so berichtet das Schreiben weiter, "ist seitens deutscher Arbeiter aus Anlaß der gehässigen und völlig unbegründeten Gewerbe-Gerichtsklage der Polen geäußert worden, es sei widerlich, mit diesen Polen zusammenarbeiten zu müssen."

in: Tczew-Witten. Partner in Europa. Seite 42-43


Soviel zur Erhellung des möglicherweise provokant formulierten Titel des Beitrages von Frank Ahland in der Broschüre von 1999.

Der Autor fährt fort und stellt Bezüge zwischen der historischen Situation und unserer heutigen Gesellschaft her. Gedanken, die sehr wahrscheinlich dazu beitrugen, daß Thema auch Jahre später noch weiter zu bearbeiten.

Was kann uns die Geschichte der Polen in Witten für die Gegenwart, für den Umgang zwischen Deutschen und Türken etwa oder zwischen Deutschen und Aussiedlern lehren? Sicherlich läßt sich die auf lange Sicht schließlich erfolgte Integration der Polen kaum als gelungen bezeichnen. Zu hoch schaukelten die Wellen eines nationalen Chauvinismus auf polnischer und eines kulturellen Überheblichkeitswahns auf deutscher Seite, zu groß waren die persönlichen Leiden polnischer Zuwanderer, bis hin zur Deportation polnischer Vereinsfunktionäre in Konzentrationslager im Jahre 1939. Das Beispiel schreckt eher ab, als daß es Mut machen kann, und doch zeigt es begehbare Ansätze, die es lohnt weiterzudenken.

Hinsichtlich der Abschottung der türkischen Zuwanderer, selbst in der dritten Generation, auch der Selbstisolierung der Aussiedler lassen sich durchaus direkte Parallelen zu den Polen ziehen. Denn je größer der Druck, sich an die Aufnahmegesellschaft anzupassen, desto eher neigen Zuwanderer zur Gettoisierung. Die eigenen Subkulturen laufen kurzfristig auf die Abspaltung von der Aufnahmegesellschaft hinaus, langfristig aber stellen sie eine wichtige, integrativ wirkende Sozialisationsinstanz dar, indem sie alte Loyalitäten und Abhängigkeiten aufheben und die Zuwanderer schrittweise an die Gesellschaft heranführen.

Interessanter aber noch sind die Parallelen, die sich auftun, wenn man die Zuwandererproblematik unter dem Blickwinkel von Etablierten und Außenseitern betrachtet. Zur fehlenden Akzeptanz der Zuwanderer seitens der eingesessenen Bevölkerung kommt ihre konkrete Ausgrenzung in allen Bereichen des täglichen Lebens hinzu. Dazu gehört die Stigmatisierung der überwiegend von Polen bewohnten Siedlungen als Polackensiedlung, dazu gehört die Ächtung der Symbole der Minderheit, dazu gehört aber auch die Stigmatisierung der Person als Polacke, der jederzeit - auch wenn er seinen Namen noch so sehr eingedeutscht
haben mag - an der Aussprache oder an seinem Geburtsort als Pole zu erkennen ist. Bei den Türken kommen weitere Stigmata hinzu, doch im Grunde handelt es sich um dasselbe Phänomen. Und angesichts unkalkulierbarer wirtschaftlicher Entwicklungen im Zuge der Globalisierung werden die Verteilungsspielräume innerhalb der Arbeitnehmerschaft geringer und die Auseinandersetzungen um die erstrebenswerten Güter und Positionen härter. Die Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen dient in diesem Szenario dazu, die eigenen Chancen (der Deutschen, der Eingesessenen) zu vergrößern. Die im Ruhrgebiet verbliebenen Polen gehören schon lange nicht mehr zu den Außenseitern, sie sind längst etabliert und verteidigen ihre Positionen gegenüber den heutigen Fremden.
[...]

in: Tczew-Witten. Partner in Europa. Seite 43-44





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witten aktuell, 21. 4. 2004

Eine Reise in ein
unbekanntes Land

Broschüre zur Tour auf Spuren der Polen in Witten

(red) Geschichte erfahren:
Der Wittener Historiker Dr. Frank Ahland hat eine Bro-schüre veröffentlicht zu einer Radtour auf den Spuren der Polen in Witten

Sie heißt "Reise in ein unbekann-tes Land. Mit der Rosi-Wolfstein-Gesellschaft auf den Spuren der Polen in Witten" Sie leistet im wahrsten Sinne des Wortes einen wegweisenden Beitrag zur Wit-tener Stadtgeschichte.

Und sie dient der europäischen Verständigung in besonderer Weise, weil die notwendige Inte-gration Europas nur gelingen kann, wenn sie vor Ort von den Bürgern getragen und gelebt wird.

Schon im Vorfeld fand die Arbeit an der Broschüre weit reichende Beachtung und Unterstützung, so bei dem polnischen Vikar Pater Jan Poja CR von der katholischen Kirchengemeinde St. Vinzenz von Paul und bei Peter Liedtke, dem Vorsitzenden des Freundschafts-vereins Tczew-Witten. Dieses Inter-esse hat den Historiker auch be-wogen, die Broschüre ins Pol-nische übersetzen zu lassen, was derzeit geschieht.

Die polnischsprachige Version wird voraussichtlich Ende April, Anfang Mai erscheinen können.

Die Broschüre wurde der Leiterin des Wittener Stadtarchivs, Dr. Martina Kliner-Fruck, auf den Bahnsteig des Wittener Haupt-bahnhofes überreicht.

Der Bahnhof eignet sich für diesen Anlass vor allem deshalb, da hier nicht nur die vorgestellte Radtour beginnt, sondern auch die pol-nischen Zuwanderer erstmals Wittener Boden betraten.

Reise in ein unbekanntes Land:
Mit der Rosi-Wolfstein-Gesell-

Zum Beitritt der
Republik Polen


schaft auf den Spuren der Polen in Witten.

Der Freundschaftsverein Tczew-Witten begrüßt die Veröffent-lichung. Pünktlich zum Beitritt der Republik Polen in die Europäische Union erscheint in Witten eine Broschüre, die sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen ausein-andersetzt und damit einen interes-santen historischen Einblick in die Wittener Lokalgeschichte in ihrem Verhältnis zu, den, Polen bietet.

Der Autor. Dr. Frank Ahland, ließ sich 1999 vom Freundschaftsverein dafür gewinnen, einen Beitrag zu

der zusammen mit der Stadt Witten herausgegebenen Bro-schüre über die Städtepartner-schaft, "Tczew - Witten. Partner in Europa" zu schreiben.

Nun hat er auf seinem damaligen Interesse aufbauend ein prak-tisches Geschichtsarbeitsbuch erstellt. Die "Reise in ein unbe-kanntes Land" ist eine detaillierte Anleitung zu einer Fahrradtour durch und um Witten, bei der in insgesamt zwölf Stationen Aspekte der deutsch-polnischen Geschichte beleuchtet werden.

Als im 19, Jahrhundert die ersten Arbeitsimmigranten aus den Ge-bieten des von Preußen, Osterreich und Russland annektierten und aufgelösten polnischen Staates ins Ruhrgebiet kamen, wurden sie wegen ihres in der Mehrheit katho-lischen Glaubens und der natio-nalen polnischen Ambitionen ausgegrenzt, bespitzelt und verfolgt.

Mit großer Hingabe zum Detail versteht es Dr. Frank Ahland in das Leben der polnischsprachigen Zuwanderer einzudringen und segelt in seinem Text souverän zwischen allen Klippen, die die polnische Sprache für Nichteingeweihte bereithält.





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Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 4. 5. 2004

Spurensuche mit Wurst-Picknick

Radgruppe erkundete die Geschichte des polnischen Lebens in Witten

Von Jens Nieweg

Ab 1880 kamen sie nach Witten. Arbeiteten, wo es schwer und gefährlich war, integrierten sich über die Jahre. Andere Polen kamen später als Zwangsarbeiter, andere als Gastarbeiter.
Auf Spurensuche begab sich am Sonntag eine Gruppe Interessierter auf Fahrrädern.

Das große "G" mit dem "W" eingeschlossen prangt immer noch hoch oben an einer Back-steinhalle auf dem heutigen EWK-Gelände. In Sichtweite des Bahn-steigs am Hauptbahnhof, wo die Gruppe ihre Stadtrundfahrt beginnt, fanden die Polen ihr Ziel: das Gussstahlwerk Witten.

"In den Waggons vierter Klasse für Arbeiter und Leute vom Land kamen sie hier an", referiert Klaus-Peter Kieselbach. "Man brauchte sie damals für alles, was gefährlich und schwer war", sagt der Stadtplaner und nennt das

Gussstahlwerk, die Gas-werke nebenan und als Beispiel die Zeche Fran-ziska, wo jetzt der Saalbau steht. 2300 Polen im Jahre 1900 zeigen: Nur jeder 16. in Witten Lebende war ein Pole, aber jeder fünfte Berg-arbeiter kam aus Polen.

All dies hat die Rosi-Wolfstein-Gesellschaft (RWG) zusammenge-tragen. Gründungsmitglied und Historiker Dr. Frank Ah-land ergreift, am Rathaus angekommen, das Wort. "Für unser Verständnis waren es Polen, aber sie verstanden sich nicht so. Es waren kaisertreue Staatsbürger aus den preußischen Ostprovin-zen, die sich als Schlesier, Posener, West- und Ostpreußen sahen", erklärt Ahland. Die Radler hören, "dass die Polen sich erst als Einheit sahen durch die Ausgrenzung hier."

Gemütlich wird auf den Sätteln weiter die Stadt erkundet. Es geht an der Marienkirche vorbei, die
durch die polnischen Ein-wanderer an Mitgliedern wie durch bauliche Erwei-terung wuchs. Von der großen Neueinweihung 1898 referiert RWG-Mitglied Beate Brunner. Es hat polnische Kame-radschafts-, Frauen- und Sportvereine sowie Zeitungen in Witten gegeben, wird erklärt.

Als die 15 Radler durch das Viertel "Zwölf Apostel" fahren, sehen sie, was sichtbar geblieben ist: Die Straßennamen Bres-lauer, Dirschauer, Königs-berger Straße. In den 1950er Jahren war das Viertel errichtet worden.

"Ich möchte etwas über Wittens Geschichte er-fahren, deshalb fahre ich mit", sagt Corinna
von Glischinski - und hat noch ihre Söhne zum Ausflug überredet. Alle 15 Radfahrer und die freudig nebenher rennende Dackeldame Ronja pas-sieren das Gußstahlwerk Annen, dann das nahe KZ-Außenlager. 70 der 700
Zwangsarbeiter dort (zwi-schen September '44 und April '45) waren Polen, die im Gußstahlwerk unter erbärmlichen Zuständen schufteten. Auch ein pol-nischer Häftling und sieben Kinder kamen dort zu Tode, sind am Tranten-rother Weg begraben. Er wird auch ein Ziel der Radtour sein.

Zunächst geht es nach Düren, zum Steinäcker-weg. Rund um das Gebäu-de der Zeche Walfisch wohnte 1910 der größte Polenanteil auf Wittener Gebiet. Von den 600 Bür-gern kamen 143 von dort. "Dass es so viele waren, hätte ich ja nie gedacht", sagt Teilnehmer Paul Wood bei schlesischem Wurst-Picknick. Beein-druckt zeigt sich auch Vize-Bürgermeisterin Lieselotte Dannert. "So viel habe ich über das Thema nicht gewusst", sagt sie und dankt der RWG für die "umfang-reiche Recherche des bis-lang verborgenen Kapitels der Stadtgeschichte"





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